Luftikusse

Norbert Trawöger, Christian Steinbacher, Brigitte Mahlknecht

»Im Grunde sind wir alle Improvisatoren«, sagt der Flötist Norbert Trawöger und weiß das auch in die Tat umzusetzen: Dem Wunsch folgend, »aus dem Moment heraus« zu spielen und der Neugierde, sich dabei selbst »von außen zuzuhören«, fand 2012 in der Magdalenabergkirche Bad Schallerbach (OÖ) die Aufnahme von 21 frei improvisierten Flötenstücken statt.

»Luftikusse« hat sie der Schriftsteller Christian Steinbacher genannt und im besten Sinne heftig auf das Gehörte reagiert: 21 Gedichte und Umrankungen sind entstanden, teils ergänzt um schriftliche Kopf-, Fuß- und Mittelstücke und lose verbunden durch die Beigabe von 21 »Beipackzettelchen«, einer Zitatensammlung gefundener Textstellen, denen allesamt das Wort »Flöte« gemein ist.

Und nicht, weil aller guten Dinge drei sind, sondern aus der Idee heraus, das Doppelspiel von Musik und Literatur gleichsam etwas aufzulösen, wurden die beiden Kunstformen um eine dritte, bildnerische Position ergänzt: die Werke der Künstlerin Brigitte Mahlknecht. Daraus entstanden ist ein Dreiklang der einzelnen Elemente, der ein neues Verhältnis der künstlerischen Ausdrucksformen zueinander herzustellen vermag.

Aus dem Buch

(Notiz: Dem Buch ist eine 10-inch Vinyl-Schallplatte mit fünf Luftikus-Stücken beigelegt. Alle 21 Luftikusse sind über den im Buch enthaltenen Link abrufbar.)

Luftikus Nr. 1

Flötenimprovisation von Norbert Trawöger:

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Luftikusse

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Luftikusse
Norbert Trawöger
Christian Steinbacher
Brigitte Mahlknecht

1. Auflage 2014
64 Seiten, Hardcover
inkl. beigelegter Schallplatte (10-inch Vinyl mit 5 Luftikus-Stücken)

Format 277 × 277 mm
zahlreiche, vollfarbig gedruckte Abbildungen, durchgefärbtes Vorsatzpapier

ISBN 978-3902919-02-1
Preis: EUR 34,–

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Titel auch als limitierte Vorzugsausgabe erhältlich.

 
Textliche Umrankung von Christian Steinbacher:
 

(zu Nr. 1:)

Debüt, mit Pendel

1

Ich selbst mal drei?
Am Compagnon

vorbei, das Vorgängige
schießt mitein,

was dann zu dritt
ein Bild wird sein.

Nun weißt du,
was sich dehnen heißt.

2

Da wird ein Pendel filetiert bis zur Balance,
die beiden Marken Heiß und Kalt in einem Spiel,
das noch auf keinen rechten Einsatz schielen will,
mehr Turnübung als Ernst von einer Lage, beide
als Profis des Verknotens noch nicht anerkannt,
und dann noch der Versuch des einen, einen andern
als Mitspieler an sich heranzubinden: »Mach’s
mir nach! Hell sei’s bereits genug.« Ausdrückliches,
das fehlt zum Glück oft einem Faun, sein Nachmittag,
geruhsam sei uns gut der, dass es wo auch sitzt,
das Sichbelauschen, fast so wie im Publikum
ein Windgott geistesgegenwärtig thront in petto,
von Aussicht auf ein Muten ganz zu schweigen.
»Wie kam der Dritte in den Bund, und in die Mitte?«
Erst mindestens ein zweiter machte einen Farbtopf
erkennbar; isoliert gäb’s gar nichts. Da, die Rute,
sie schlägt nicht aus an so ’nem milden Nachmittag,
der uns, noch gänzlich unbescholten, schenkt sein Licht,
was kaum mehr fragen lässt nach tieferen Frequenzen.
Wer von den beiden Putzern putzt da eifrig durch?
Claude oder Claude? Ach, zweigeschlechtlich: »Hallo, Arne!«
Des Windgottes Aiolos’ Tochter also? Weiter
im Norden gilt ihr Name männlich! Doch gemeinsam
treten wir aus hier, und hinaus ins Licht, das schlägt,
bis unverkürzt der Hot Spot reift zur Aureole,
dass sich selbst sein gedoppeltes Merci verspringt
vorm süßen Zuschlag, der da hieß: »Debüüüüt für Sie!«

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// Wie sucht’ ich dich an mich heranzubinden! (Ein Fußstück?)

Eine erste Beleuchtung, und da setze er auch schon an wie auch sich voran einen Knicks. Und schon dehne er sich, weise auf einen Zweiten hier hin. Und kaum dass er kurz weiter geübt habe an seiner Dehnung so noch nur für sich, habe es dieser Zweite begriffen, und so dehne sich der also auch. Davon keineswegs irritiert verdopple unser Erster vorderhand nur seine voranstehenden Knickse. Nun aber, wo unser Erster – habe es sich gar angekündigt, na was? – an dem Zweiten vorbeigreife auf dessen andere Seite, liege alles offen und klar: nämlich dass inzwischen auch der Zweite so ein Dehnen und Strecken überzeugend beherrsche. Und so beziehe der Erste ihn gerne ein dann und verdopple nicht mehr nur seine bühnengerechten Knickse, sondern auch sich selbst als ein Anderer. Und indem er in ihrer beider ab da mehr und mehr gemeinsamen Inszenierung den Zweiten immer an beiden Flanken umfasse, versuchten sie diese, ihre Balance weiter zu halten zu dritt! Und da sei es auch schon geschafft, ja, das Pendel, es halte, und so erweise sich so eine kleine Figuration eben doch als beständiges Gut. Und so dürfe die sich bald auch wieder zurückziehn. Aber selbst dass im gemeinsamen Fade-out dann der Zweite wirklich ausgefädelt haben werde, nämlich dort, wo er sich in seiner Hast für ’nen Moment an die Stelle des Ersten, der ihn doch einst erst herzugerufen habe, versetzt habe, werde dann der inzwischen erreichten Figuration keinen Abbruch mehr machen können. Schritt um Schritt werden sie daher als diese gemeinsame Figuration weiter und weiter nach hinten zu treten haben. Und kein unfeiner Zug werde es dann sein, dass dabei auch die Dehnung dann wieder schrumpfen haben können werde hin bis zum Punkt.

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»Gruß aus Tscherkessien« – Beipackzettelchen/Bonusflitter:

Alanischer Schamane beim Gottessen. Ossetischer Hochgebirgsjäger auf der Lauer. Tscherkessische Flötenspielerin. Taurischer Trickkünstler mit Tanzbär. Drei inguschetische Rattenfänger. Eine Rotte kumanischer Kampfreiterinnen. Sarmatischer Gedankenleser und Zahlenakrobat. Aserischer Wunderheiler. Mzyrische Hebamme und Handleserin. Zwei awarische Kurtisanen. Drei albanische Postkutscher in Uniform.

Felix Philipp Ingold, Noch ein Leben für John Potocki, Roman, Berlin: Matthes & Seitz 2013, S. 439

 

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Der Musiker

Norbert Trawöger, geboren 1971 in Wels, ist (schau)spielender, lehrender, schreibender und gestaltender Musiker. Wien, Graz, Göteborg und Amsterdam waren die Hauptstädte seiner flötistischen Ausbildung. Auf alten und modernen Flöteninstrumenten spielt er Alte und Neue Musik und beschäftigt sich zunehmend auch mit Improvisation. Trawöger ist Autor von Rezensionen, Kolumnen, Libretti und Essays, leitet seit 2013 den Linzer Kepler Salon und war auch schon einmal Zirkusdirektor (Kinderklangwolke 2014).

www.eNTe.me

Norbert Trawöger
Foto: Edith Maul-Röder

 

Der Autor

Christian Steinbacher, geboren 1960 in Ried im Innkreis, lebt seit 1984 als Autor, Herausgeber und Kurator in Linz. Als Autor trat Steinbacher zu Beginn mit visueller, sonorer und konzeptioneller Poesie hervor. Heute schreibt er Gedichte, poetische Prosa, Hör-Texte und Essays. Buchpublikationen seit 1988, seit 2011 im Czernin Verlag (zuletzt: »Tief sind wir gestapelt: Gedichte«, 2014). Mehrere Preise und Auszeichnungen, unter anderem der Literaturpreis Wartholz 2010 und der Heimrad-Bäcker-Preis 2013. Seit Jahren Zusammenarbeiten mit anderen Kunstschaffenden.

Christian Steinbacher
Foto: Otto Saxinger

 

Die Künstlerin

Brigitte Mahlknecht, geboren 1966 in Bozen, lebt in Wien. Für ihre künstlerische Entwicklung war die Auseinandersetzung mit experimenteller Lyrik und neuer Musik von grundlegender Bedeutung. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Zeichnung und in der Malerei. Letzte Ausstellungen: »Agora & Gabe, Gespenster der Gastfreundschaft«, Kulturzentrum der Nationalbank von Griechenland, Thessaloniki (2014), »Der Käfig«, Animation für die Medienwand des Museions, Museum für Moderne Kunst, Bozen (2013), »Who’s your neighbor, migration is natural«, Tricky Women Film Festival, Wien (2012)

www.brigittemahlknecht.com

Brigitte Mahlknecht

 

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Bemerkungen

Herausgeber Virgil Guggenberger über das Buchprojekt:

Einen Dreiklang in Buchform entstehen zu lassen, war zentraler Punkt des Projektes, sowohl in der inhaltlichen Konzeption als auch in der gestalterischen Umsetzung. Was dabei die künstlerischen Positionen inhaltlich verbindet, ist in erster Linie ihre Eigenständigkeit. Erst der Umstand, dass Musik, Text und Bild auch jeweils für sich alleine stehen können, macht es möglich, diese drei Positionen in Buchform wiederum zu einer neuen Aussage zusammenzuführen, indem neu ein direkter Bezug zueinander hergestellt wird. Genau darin liegt auch die besondere gestalterische Herausforderung dieses Projektes: Drei scheinbar sehr unterschiedliche künstlerische Ansätze in eine Form zu bringen, die alle drei Positionen gleichwertig in Szene zu setzen weiß. Die zentrale Frage in der Gestaltung sind die Bezüge zueinander: Wie verhält sich Text zu Musik, wie Bild zu Text und Musik und wie diese wiederum zu den anderen beiden?

Hier kommt eine Gemeinsamkeit der drei Positionen zu tragen, die sich bereits im Titel, im »Luftigen« der »Luftikusse« widerspiegelt: Das »Prinzip des nicht Fassbaren« als eine Art Sonderform des Interpretationsspielraums, der dem Leser beziehungsweise gleichermaßen Betrachter und Zuhörer gegeben wird.

Zwar nehmen die Texte direkten Bezug auf die Musikstücke, bleiben in ihrer Intention aber ebenso frei interpretierbar, wie es auch die Musikstücke selbst sind.

Die entsprechenden Bilder von Brigitte Mahlknecht wurden im Gegensatz zu den Texten nicht unmittelbar angefertigt, aber wiederum mit Bezug zu Musik und Text aus dem Bestand der Künstlerin heraus ausgewählt. Die künstlerische Herangehensweise ist dabei der von Musik und Text ähnlich: Aus dem Eindruck einer sehr konkreten, aber letztlich nie gänzlich fassbaren Bildbotschaft entsteht ein Verständnis für einen sich stets erweiternden Interpretationsraum, der über konkrete bildliche Formen alle Denkvarianten offen lässt.

Die jeweiligen Inhalte entwickeln sich also individuell über die Interpretation von Musik, Text und Bild, die – über Einzelpositionen zum Buch geworden – als eine eigene, neue Ausdrucksform zusammenfinden.

Das ist letztlich die besondere Qualität und der Anspruch der Publikation »Luftikusse«: Der Betrachter wird in die Lage gesetzt, die Deutung der Positionen im Einzelnen und in ihrer bibliophilen Zusammenschau selbst vorzunehmen. Kurzum, der Buch gewordene Wunsch, einer festgesetzten inhaltlichen und formensprachlichen Deutungshoheit den Mut zur Eigeninterpretation auf musikalischer, textlicher und bildlicher Ebene entgegenzusetzen.


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Im Buchhandel

Erhältlich ist das Buch direkt bei Edition Krill sowie im gut sortierten Buchhandel. Buchhändler wenden sich bitte direkt an uns: Kontakt

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